Festival Blog - Konzertwanderung Teil 1
Die Konzertwanderung am Sonntagmorgen war noch einmal eines der gewagtesten Experimente bei der diesjährigen Auflage von „Musica S.“. Ich war natürlich dabei und sehr gespannt: Wie wird sich das anfühlen, wird es spannend oder zieht es sich? Wie viele und was für Leute lassen sich auf das Experiment ein? Fast sieben Stunden, vierzehn Programmpunkte, viele menschen und ganz unterschiedliche Eindrücke – das lässt sich nicht in ein paar Sätzen zusammenfassen. Wie am Sonntag schon versprochen, kommt hier also der erste Teil meines ganz persönlichen Weges durch diesen Sonntag bis zum Abschlusskonzert:
Als ich am ganz frühen Sonntagmorgen zu Hause aufgebrochen bin um mich auf den Weg zu machen zum Startpunkt der Konzertwanderung auf einem Parkplatz am Rande des Schlossparkes in Neuhaus, da war es noch völlig dunkel, kalt und ziemlich herbstlich-nebelig. Während auf der einen Seite die letzten Feiernden vom Samstagabend aus der Stadt zurückkamen, wurden auf der anderen Seite vor der Bäckerei schon die Brötchen für den Sonntag angeliefert. Am Treffpunkt angekommen fängt es langsam an zu dämmern, nach und nach kommen immer mehr Menschen zusammen, erstaunlich viele für diese Uhrzeit und dieses ungewöhnliche Experiment, das wir so in Paderborn bisher noch nicht hatten. Es ist nicht unbedingt das klassische Konzertpublikum, das sich da versammelt, eher Neugierige, Naturverbundene, Frühaufsteher, allein, mit Freundin oder mit Hund, im Ganzen erwartungsgemäß ein eher weibliches und ein eher älteres Publikum (und ja, ich wurde zwischendurch schon ziemlich misstrauisch beäugt, weil ich offensichtlich so gar nicht der Zielgruppe dieser Veranstaltung entsprach, weswegen es vielleicht auch ein Bisschen unfair ist, das ausgerechnet ich jetzt über meine Erlebnisse dabei Bericht erstatten soll) ;)
Christoph Gockel-Böhner von der Festivalleitung hat das Ganze geplant und gibt die Richtung vor, nach ein paar Schritten gab es schon das erste Mal Musik, ein paar der Teilnehmer hatten Notenzettel bekommen und sangen nun zum Einstand im mehrstimmigen Satz „Wach auf, meins Herzens Schöne“. Ein paar Schritte weiter spielt die ganz lebendige Flötistin Sarah Heemann neben einem namenlosen metallenen Flötisten, der mir im Landesgartenschaugelände noch nie aufgefallen ist, eine verträumte Bach-Bearbeitung, während Nebelschwaden über die Wiesen ziehen und von der nahen Alme noch eine klamme Kälte herüberkommt. Die Klänge der einzelnen Flöte passen ganz genau in diese merkwürdig zerbrechliche Atmosphäre zwischen nicht mehr Nacht und noch nicht Tag. Atmosphäre ist überhaupt das, was diesen Beginn der Konzertwanderung ausmacht, denn wann erlebt man sonst schon einmal (bewusst und ohne Hast!) diesen Tagesanbruch in der Natur?
Gegen halb acht stand dann im neuen Domizil der Städtischen Galerie schon die erste Pause an, ein Kaffeautomat und ein Korb voller Croissants sollten die Besucher versorgen, konnten aber der vielen Teilnehmer kaum Herr werden, es waren selbst zu dieser frühen Stunde schon mehr als angemeldet und eingeplant – schätzungsweise um die vierzig bis fünfzig Personen. In der Pause mussten wir uns ein Bisschen vor und in dem Museum verteilen, um nicht im Weg herumzustehen und dann stand da plötzlich ein ungeheuer passendes Kunstwerk vor mir: eine Installation aus einem Bett mit zurückgeschlagener Bettdecke und lauter benutzten Kaffeetassen. Leider Kunst und nicht zum Gebrauch freigegeben. Vom Museum im Marstall ging es dann hinüber ins Schloss, wo der Arnold-Schönberg-Chor aus Wien auf uns wartete, der am frühen Nachmittag auch das Abschlusskonzert in der Marktkirche bestreiten sollte. In salopper Wanderkleidung kam der Chor singend in den Audienzsaal, Chorleiter Erwin Ortner bewies dann ausgeprägtes Unterhaltungstalent im lockeren und witzigen Umgang mit dem Publikum, zu hören gab es zwei Madrigale aus dem Italien des 17. Jahrhunderts, eines von Monteverdi, dessen Text ungeheuer kunstvoll um die Wahrnehmung der erwachenden Natur kreist, und eines von Banchieri, in dem sehr witzig Tierlaute nachgeahmt und kontrapunktisch miteinander verschränkt werden. Alles makellos gesungen und toll, den Sängern einmal so aus der Nähe zusehen zu können! Und dann mussten, konnten oder sollten wir (je nach Sichtweise) zum ersten Mal an diesem Tag auch alle gemeinsam singen: „Viva, viva la musica“, bevor es dann wieder hinaus ging aus dem Schloss und hinüber in die Neuhäuser Pfarrkirche
In der viel zu selten geöffneten und viel zu wenig bekannten Barockkirche St. Heinrich und Kunigunde gegenüber vom Schloss erwartete uns schon der Organist Sebastian Freitag. Er kündigte an, eine gut gelaunte Folge von Variationen über „Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser schönen Sommerzeit“ für uns zu spielen, danach sollte das Lied dann gemeinsam gesungen werden. Ich finde diese Paul-Gerhardt-Lieder mit ihrer poetisch-bildhaften und eingängigen Sprache, mit ihrem individuellen Ton ganz großartig, meiner Meinung nach ist im 17. Jahrhundert nichts schöneres in deutscher Sprache gedichtet worden, aber noch vor einer Generation hätte man diese ur-lutherischen Texte in einer katholischen Kirche sicher nicht gesungen. Das ist mitten im Reformationsgedenken doch ein schöner ökumenischer Gedanke! Ein paar trotz der frühen Stunde besonders motivierte, konnten es mit dem Singen allerdings gar nicht abwarten und versuchten schon direkt beim ersten Orgeleinsatz loszusingen… passt nicht… dann halt beim nächsten… passt wieder nicht… bis von der Empore der Hinweis kam, das seien jetzt erst noch die Variationen: „Wir singen danach“.
Nun folgte die erste längere Wander-Strecke von der Kirche durch ein Stück des alten Ortskernes von Neuhaus, am Quinhagen über die Brücke und dann den Fuß- und Radweg durch das alte Landesgartenschau-Gelände. Am Grünen Klassenzimmer erwartete uns dann eine längere Pause mit Frühstück. Die Organisatoren hatten Tische und Bänke aufgestellt, Kaffee vorbereitet, Brötchen herbeigetragen und während Kaffee und Brötchen während der unerwartet großen Menge an Wanderern noch rechtzeitig nachgeordert werden konnten, gab es Sitzmöglichkeiten nicht für alle und auch den Chor konnten wir zwar alle hören, aber nicht alle sehen, weil es inzwischen so voll geworden war. Der Arnold-Schönberg-Chor sang - was könnte passender sein – „Lieder im Freien zu singen“ von Felix Mendelssohn Bartholdy, beim dritten dieser Lieder, dem zum Volkslied gewordenen „O Täler weit, o Höhen, o schöner, grüner Wald“ auf einen Text von Eichendorff, stimmten ein paar Motivierte sogar mit ein. Der Chor bekam herzlichen, langen Applaus, es wurde allerdings direkt neben mir auch herzhaft darüber diskutiert, ob das nun ein Profi-Chor sei oder doch nicht (oder nur für Projekte), und ob dieser Chor denn hier aus Paderborn komme, man hätte von ihm bisher noch nichts gehört. Nach Mendelssohn, Wurstbrötchen und belebendem Kaffee –so langsam war auch der letzte Wanderer wach und ansprechbar geworden – rief uns Siegfried hinüber zur nächsten Station. Siegfrieds Hornruf aus der gleichnamigen Oper, das „Schwertmotiv“, der Hornist Thomas Janzing, erzählte Christoph Gockel-Böhner, hatte am Sonntagnachmittag noch ein paar Stunden in Minden im Orchestergraben bei den „Siegfried“-Aufführungen mit der Nordwestdeutschen Philharmonie vor sich. Uns spielte er ein kurzes Hornstück, von dem mir nichts weiter im Gedächtnis geblieben ist. Der Klang des Instruments, weich und gleichzeitig voll, passt aber natürlich toll an die frische Luft und in diese Morgenstunden.
Die Konzertwanderung am Sonntagmorgen war noch einmal eines der gewagtesten Experimente bei der diesjährigen Auflage von „Musica S.“. Ich war natürlich dabei und sehr gespannt: Wie wird sich das anfühlen, wird es spannend oder zieht es sich? Wie viele und was für Leute lassen sich auf das Experiment ein? Fast sieben Stunden, vierzehn Programmpunkte, viele menschen und ganz unterschiedliche Eindrücke – das lässt sich nicht in ein paar Sätzen zusammenfassen. Wie am Sonntag schon versprochen, kommt hier also der erste Teil meines ganz persönlichen Weges durch diesen Sonntag bis zum Abschlusskonzert:
Als ich am ganz frühen Sonntagmorgen zu Hause aufgebrochen bin um mich auf den Weg zu machen zum Startpunkt der Konzertwanderung auf einem Parkplatz am Rande des Schlossparkes in Neuhaus, da war es noch völlig dunkel, kalt und ziemlich herbstlich-nebelig. Während auf der einen Seite die letzten Feiernden vom Samstagabend aus der Stadt zurückkamen, wurden auf der anderen Seite vor der Bäckerei schon die Brötchen für den Sonntag angeliefert. Am Treffpunkt angekommen fängt es langsam an zu dämmern, nach und nach kommen immer mehr Menschen zusammen, erstaunlich viele für diese Uhrzeit und dieses ungewöhnliche Experiment, das wir so in Paderborn bisher noch nicht hatten. Es ist nicht unbedingt das klassische Konzertpublikum, das sich da versammelt, eher Neugierige, Naturverbundene, Frühaufsteher, allein, mit Freundin oder mit Hund, im Ganzen erwartungsgemäß ein eher weibliches und ein eher älteres Publikum (und ja, ich wurde zwischendurch schon ziemlich misstrauisch beäugt, weil ich offensichtlich so gar nicht der Zielgruppe dieser Veranstaltung entsprach, weswegen es vielleicht auch ein Bisschen unfair ist, das ausgerechnet ich jetzt über meine Erlebnisse dabei Bericht erstatten soll) ;)
Christoph Gockel-Böhner von der Festivalleitung hat das Ganze geplant und gibt die Richtung vor, nach ein paar Schritten gab es schon das erste Mal Musik, ein paar der Teilnehmer hatten Notenzettel bekommen und sangen nun zum Einstand im mehrstimmigen Satz „Wach auf, meins Herzens Schöne“. Ein paar Schritte weiter spielt die ganz lebendige Flötistin Sarah Heemann neben einem namenlosen metallenen Flötisten, der mir im Landesgartenschaugelände noch nie aufgefallen ist, eine verträumte Bach-Bearbeitung, während Nebelschwaden über die Wiesen ziehen und von der nahen Alme noch eine klamme Kälte herüberkommt. Die Klänge der einzelnen Flöte passen ganz genau in diese merkwürdig zerbrechliche Atmosphäre zwischen nicht mehr Nacht und noch nicht Tag. Atmosphäre ist überhaupt das, was diesen Beginn der Konzertwanderung ausmacht, denn wann erlebt man sonst schon einmal (bewusst und ohne Hast!) diesen Tagesanbruch in der Natur?
Gegen halb acht stand dann im neuen Domizil der Städtischen Galerie schon die erste Pause an, ein Kaffeautomat und ein Korb voller Croissants sollten die Besucher versorgen, konnten aber der vielen Teilnehmer kaum Herr werden, es waren selbst zu dieser frühen Stunde schon mehr als angemeldet und eingeplant – schätzungsweise um die vierzig bis fünfzig Personen. In der Pause mussten wir uns ein Bisschen vor und in dem Museum verteilen, um nicht im Weg herumzustehen und dann stand da plötzlich ein ungeheuer passendes Kunstwerk vor mir: eine Installation aus einem Bett mit zurückgeschlagener Bettdecke und lauter benutzten Kaffeetassen. Leider Kunst und nicht zum Gebrauch freigegeben. Vom Museum im Marstall ging es dann hinüber ins Schloss, wo der Arnold-Schönberg-Chor aus Wien auf uns wartete, der am frühen Nachmittag auch das Abschlusskonzert in der Marktkirche bestreiten sollte. In salopper Wanderkleidung kam der Chor singend in den Audienzsaal, Chorleiter Erwin Ortner bewies dann ausgeprägtes Unterhaltungstalent im lockeren und witzigen Umgang mit dem Publikum, zu hören gab es zwei Madrigale aus dem Italien des 17. Jahrhunderts, eines von Monteverdi, dessen Text ungeheuer kunstvoll um die Wahrnehmung der erwachenden Natur kreist, und eines von Banchieri, in dem sehr witzig Tierlaute nachgeahmt und kontrapunktisch miteinander verschränkt werden. Alles makellos gesungen und toll, den Sängern einmal so aus der Nähe zusehen zu können! Und dann mussten, konnten oder sollten wir (je nach Sichtweise) zum ersten Mal an diesem Tag auch alle gemeinsam singen: „Viva, viva la musica“, bevor es dann wieder hinaus ging aus dem Schloss und hinüber in die Neuhäuser Pfarrkirche
In der viel zu selten geöffneten und viel zu wenig bekannten Barockkirche St. Heinrich und Kunigunde gegenüber vom Schloss erwartete uns schon der Organist Sebastian Freitag. Er kündigte an, eine gut gelaunte Folge von Variationen über „Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser schönen Sommerzeit“ für uns zu spielen, danach sollte das Lied dann gemeinsam gesungen werden. Ich finde diese Paul-Gerhardt-Lieder mit ihrer poetisch-bildhaften und eingängigen Sprache, mit ihrem individuellen Ton ganz großartig, meiner Meinung nach ist im 17. Jahrhundert nichts schöneres in deutscher Sprache gedichtet worden, aber noch vor einer Generation hätte man diese ur-lutherischen Texte in einer katholischen Kirche sicher nicht gesungen. Das ist mitten im Reformationsgedenken doch ein schöner ökumenischer Gedanke! Ein paar trotz der frühen Stunde besonders motivierte, konnten es mit dem Singen allerdings gar nicht abwarten und versuchten schon direkt beim ersten Orgeleinsatz loszusingen… passt nicht… dann halt beim nächsten… passt wieder nicht… bis von der Empore der Hinweis kam, das seien jetzt erst noch die Variationen: „Wir singen danach“.
Nun folgte die erste längere Wander-Strecke von der Kirche durch ein Stück des alten Ortskernes von Neuhaus, am Quinhagen über die Brücke und dann den Fuß- und Radweg durch das alte Landesgartenschau-Gelände. Am Grünen Klassenzimmer erwartete uns dann eine längere Pause mit Frühstück. Die Organisatoren hatten Tische und Bänke aufgestellt, Kaffee vorbereitet, Brötchen herbeigetragen und während Kaffee und Brötchen während der unerwartet großen Menge an Wanderern noch rechtzeitig nachgeordert werden konnten, gab es Sitzmöglichkeiten nicht für alle und auch den Chor konnten wir zwar alle hören, aber nicht alle sehen, weil es inzwischen so voll geworden war. Der Arnold-Schönberg-Chor sang - was könnte passender sein – „Lieder im Freien zu singen“ von Felix Mendelssohn Bartholdy, beim dritten dieser Lieder, dem zum Volkslied gewordenen „O Täler weit, o Höhen, o schöner, grüner Wald“ auf einen Text von Eichendorff, stimmten ein paar Motivierte sogar mit ein. Der Chor bekam herzlichen, langen Applaus, es wurde allerdings direkt neben mir auch herzhaft darüber diskutiert, ob das nun ein Profi-Chor sei oder doch nicht (oder nur für Projekte), und ob dieser Chor denn hier aus Paderborn komme, man hätte von ihm bisher noch nichts gehört. Nach Mendelssohn, Wurstbrötchen und belebendem Kaffee –so langsam war auch der letzte Wanderer wach und ansprechbar geworden – rief uns Siegfried hinüber zur nächsten Station. Siegfrieds Hornruf aus der gleichnamigen Oper, das „Schwertmotiv“, der Hornist Thomas Janzing, erzählte Christoph Gockel-Böhner, hatte am Sonntagnachmittag noch ein paar Stunden in Minden im Orchestergraben bei den „Siegfried“-Aufführungen mit der Nordwestdeutschen Philharmonie vor sich. Uns spielte er ein kurzes Hornstück, von dem mir nichts weiter im Gedächtnis geblieben ist. Der Klang des Instruments, weich und gleichzeitig voll, passt aber natürlich toll an die frische Luft und in diese Morgenstunden.